Reise ans Mittelmeer

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Reise ans Mittelmeer

Beitragvon upndown » 07.10.2022, 10:10

man kann sich auf nichts mehr verlassen, nicht mal mehr auf die Unzuverlässigkeit des Wetterberichts!
Bei "langweiligem Wetter" kann man auch getrost in die Wetterapp gucken, sonst muss man sich mehrerer Informationsquellen bedienen. :mrgreen:

makipino
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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon makipino » 26.04.2023, 11:59

Hallo zusammen,
vor ein paar Tagen jährte sich unsere Abfahrt zu unserer Radreise und mir ist aufgefallen, den versprochenen Reisebericht habe ich nie abgeliefert.
Jetzt aber!

(Das wird jetzt ganz schön lang, aber da ich gerne ausführliche Reiseberichte lese und lange unterwegs war müsst ihr da jetzt durch xD)

Liebe Grüße,
Hanna

makipino
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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon makipino » 26.04.2023, 12:00

Teil 1: Der Rhein

Wir fuhren an der Ruhr los Richtung Rhein. Statt uns vorzunehmen „wir fahren jetzt ans Meer“ haben wir uns immer kleine Etappenziele gesetzt, die auch leicht zu erreichen waren. Die Idee war ja im Rahmen einer Elternzeit Zeit miteinander zu verbringen und dafür das Vehikel eines Rades zu nutzen um nicht in einen Alltag zu verfallen der ein „nebeneinander“ statt einem Miteinander fördert. (Die sonstigen Vorteile einer Radreise gegenüber einer Womo-Reise muss ich hier ja mit Sicherheit nicht erläutern). Ich habe mir selbst ein paar Aufgaben gestellt, an denen ich in dem halben Jahr wachsen wollte, so zum Beispiel das Nutzen meines Handys als Notgerät, nicht als Alltagsgerät. Zusätzlich wollte ich gerne meiner Tochter das analoge Navigieren vorleben inklusive des Erfragen des Weges, statt den Ganzen Tag digitalen Pfeilen zu folgen. (Die Tatsache, dass Ruhr, Rhein, Donau als Start geplant waren hat das ganze enorm vereinfacht, diese Flüsse haben ja durchaus eine sehr gute Radinfrastruktur).
Trotzdem haben wir es geschafft uns noch vor dem Rheinorange so richtig zu verfahren, der Radweg war gesperrt, die Umfahrung war mit Treppe. Statt da abzuladen und die seitliche Schiene zu nutzen haben mir freundliche Passanten den Weg erklärt und ich habe völlig größenwahnsinnig angenommen, dass ich mir natürlich den Weg durch ein Industriegebiet merken kann. Spoiler: "Kann ich nicht"!
Wir haben es dann doch irgendwann geschafft, aber es war klar, die Fähre um die Rheinseite zu wechseln und zum anvisierten Campingplatz zu fahren kriegen wir nicht mehr. Wir haben dann bei einem Bauern hinterm Pferdestall zelten dürfen.
Warum erzähle ich davon so ausführlich? Wir haben an dem Tag ganz viele Dinge über uns auf dem Rad gelernt und direkt am Anfang mehrere große „Angstsituationen“ meiner Tochter bewältigt. Der nächste Tag begann mit Tee auf einer Parkbank vor einer kleinen Kirche und meine Tochter hat gelernt, „es wird schon gut werden“. Ab Tag 3(?) war somit die Angst verflogen, dass wir unter einer Brücke schlafen müssen. Wir haben an dem Duisburg Tag so viel Hilfe bekommen und so nette Menschen getroffen, dass die anfängliche Skepsis meiner Tochter, dass wir doch mit Sicherheit alles alleine lösen müssen verflogen ist.
Wir zwei haben uns vor Abfahrt viele Gedanken gemacht, wie wir es schaffen, dass diese Tour keine Mamatour ist und sie muss mit, sondern eine Tour die uns beiden gefällt. Dazu gehörte neben festen Regeln (wenn jemand nach Hause möchte und zwar wirklich, dann fahren wir nach Hause. Ohne Wenn und Aber), dass wir Probetouren verschiedener Längen machten um herauszufinden wie viele Kilometer für uns bequem sind. Mein Bedürfnis nach Vorwärtskommen und Bewegung und ihres nach spielen und toben und kuscheln erfüllt. Wir haben uns auf etwa 30km am Tag als grobe Richtlinie eingestellt.
In diesem Tempo fuhren wir erst nach Köln zur Maus und danach weiter Richtung Koblenz und schließlich Mainz. Mit jedem Tag Fahrt und jedem Kilometer hat sich mein Selbstbewusstsein gestärkt und die Reaktion der Menschen auf unser Unternehmen verändert. Je weiter wir kamen, desto anerkannter wurde unsere Tour. War ich in NRW noch eine völlig durchgeknallte Mutti die völlig realitätsferne Pläne hatte, so war ich ab etwa dem Bodensee eine Mama die mit ihrem Kind eine coole Reise macht und sich was traut. Die negativen Kommentare (Kindeswohlgefährdung pipapo) wurden zusehends weniger.
Ab Mainz fuhr mein Vater für eine Woche mit uns mit, gemeinsam erreichten wir Frankreich und fuhren die ersten Kilometer auf ufernahen Wegen. Zuvor war ich stets auf den asphaltierten Wegen geblieben. Zu unserem eh schon sehr umfangreichen Reisegepäck gesellte sich eine kleine Bratpfanne die wir dringend für käsegefüllte Gnoccis aus dem SuperU brauchten. Diese kleine Pfanne wurde für uns eines der wichtigsten Utensilien in den nächsten Wochen und brachte so manches Gespräch und gemeinsames Essen auf Zeltplätzen. Unser ganzes Gepäck war für Außenstehende absurd, die meisten Radreisenden achte ja durchaus auf Gewicht und Packmaß, wir achteten darauf ob uns etwas Freude macht oder nicht. So hatten wir eine ganze kleine Packtasche voll Spiel- und Malzeug dabei. Ein großes Zelt mit reichlich Platz zum Abwettern und Freunde einladen und eine voll ausgestattete Küche mit Benzinkocher, Emaillegeschirr und sogar Holzbrettchen fürs Frühstück oder die spontane Brotzeit zwischendurch. Hätten wir da enorm Gewicht sparen können? Ja! Aber ist das bei einer geplanten Fahrtstrecke um die 30km am Tag relevant? Für uns nicht.
Nach einem knappen Monat waren wir dann -zack- schon in der Nähe von Freiburg. Dort wurden nette Freunde besucht und zur Abwechslung des Handwaschens das erste Mal in der ganzen Zeit unsere Klamotten wieder in eine Waschmaschine gesteckt. Zusätzlich bekam der Knickfuß des Pinos ein neues Innenleben (hab ich in einem anderen Threat erklärt) und so war unser Flitzehasi wieder standsicher.
Wir blieben linksrheinisch, trafen auf dem letzten französischen camping municipal (neben Käse und Croissants ein weiterer überzeugender Grund den Rhein auf französischer Seite zu befahren) ein pinofahrendes Pärchen von der französischen Atlantikküste, die unglaubliche 150km am Tag vor sich hin strampelten.
Die folgenden Kilometer bis zum Bodensee waren überraschend hügelig für einen Flussradweg. Hätte man drauf kommen können wenn man sich mal die Topografie der Region anschaut und nicht nur nach Schildern fährt, aber hey, hat zu erhellenden Situationen geführt. Wer hätte auch ahnen können, dass der Radweg, der an den Rheinfällen vorbei führt, steil ist?

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon makipino » 26.04.2023, 12:03

Teil 2: Die Donau

Nach ein paar Tagen am Bodensee kam die Rache für „da ist doch ein offizieller Radweg, das wird wohl befahrbar sein“ dann noch mal etwas spezifischer: der Heidelberg-Bodensee-Radweg, der an der Donauquelle (unserem nächsten Zwischenziel) vorbeiführt, trägt den wunderschönen Zwischennamen „Schwarzwald“. Zum Glück habe ich mich vor Abfahrt im Ruhrgebiet entschieden mein Rad auf Bergtauglichkeit zu modifizieren (hinten vier Zähne mehr bei meiner Rohloff), so konnte ich mich mit schier unglaublichen 4km/h bei Regen durch den Schwarzwald strampeln. In Tengen gibt’s einen (sehr teuren) Campingplatz mit Schwimmbad (!), ein wunderbares Zwischenziel. Am nächsten Tag hatten wir die Wahl mehrere Kilometer (>10km) auf einer Landstraße die restlichen Höhenmeter hinter uns zu bringen oder innerhalb weniger hundert Meter auf einem Feldweg. Wir haben uns für den Feldweg entschieden und dort unsere Steil-bergauf-Technik unter Ausschluss der Öffentlichkeit perfektioniert. Kind steigt ab (20kg sind 20kg) und schiebt von hinten während ich wie eine Wilde strampele. Ging gut, oben angekommen belohnte uns eine fantastische Aussicht. Ab da bis zum Abend nur bergab oder geradeaus. Welch ein Wohltat!
Die Donauquelle ist praktischerweise in einem Brunnen in einem Fürstlichen Garten und bietet neben einem pinotauglichen Aufzug auch reichlich Bänke für ein üppiges Frühstück. Der Radweg ab hier ist wunderschön und grandios ausgeschildert, Zeltmöglichkeiten gibt es zuhauf speziell für Radelnde. Direkt an der Donauversickerung gibt’s ne kleine aber sehr feine Burgerschmiede mit Zeltwiese für 5€ und einem riesigen Spielplatz. Die Donauversickerung ist ein Phänomen für sich. Nicht nur ist da einfach aus dem Nichts die Donau weg (wirklich wahr, sieht sehr ulkig aus und verschiebt nebenbei an ca. 150 Tagen im Jahr die Wasserscheide in Europa, weil dann dass Wasser der Donauquelle nicht ins Schwarze Meer sondern über den Rhein in die Nordsee fließt) sondern noch zusätzlich führt das umfangreiche Höhlensystem unter der Erde dazu, dass es aus diversen Spalten am Boden zieht und pfeift und dampft.
Insgesamt ist die obere Donau eine wunderschöne wenn auch sehr hügelige Angelegenheit und dringend zu empfehlen!
Bis hier hin hatten wir immer wieder das Glück, verschiedene Wetterphänomene zu beobachten. Wir haben im Elsass unser Zelt gegen orkanartige Böen verzurrt und kurz vor Basel einen Blitzeinschlag aus einer Schutzhütte heraus beobachtet. Kurz vor Konstanz wurde es noch mal so richtig kalt und nass und kurz vor Tuttlingen hatten wir dann die Nase voll und sind bei Reisebekannten (die wir im Elsass kennen gelernt haben) untergeschlüpft um die anrollenden Gewitterfront in einem Haus abzuwettern. In Sigmaringen folgte eine Überraschung für meine Tochter, Oma und Opa sind uns mit dem Wohnmobil besuchen gekommen, wir haben eine wunderbare Woche miteinander verbracht.
Ab dort wurde die Donau sichtlich ruhiger und der Radweg flacher. Den Donaudurchbruch fuhren wir dann per Schiff, das Schiffspersonal war nicht überzeugt, dass ein Pino (und dann auch noch beladen) in deren Fahrradabteil gehört, aber mit etwas Nachdruck und selbstbewusstem Rangieren wurden wir uns dann doch einig. (Achtung, die Laderampe ist extrem schmal und steil, man sollte sich sehr sicher sein, dass man das schafft, es ist absolut unmöglich dort rückwärts zu schieben).
Kurz vor Regensburg hat eine meiner Radtaschen spontan ihr Leben ausgehaucht und das mit dem Verteilen des gesamten Inhaltes auf dem Radweg kund zu und zu wissen getan. Dank der Zwangspause für den Globetrotter trafen wir auf eine wilde Truppe paddelnder Ungarn, die uns direkt adoptierten und mit feinstem Gulasch durchgefüttert haben. Die Strecke ab dort bis Wien ist unaufgeregt und ab Passau auch landschaftlich wieder sehr schön. Ein Miniabenteuer am Rande erlebten wir kurz vor Passau, als wir auf eine kleine Privatyacht eingeladen wurden und ein bisschen auf der Donau rumschippern durften.
Am 10ten Juli kamen wir in Wien an und verbrachten dort unsere ersten Nächte bei einem warmshowers host. Bis hier her hatten wir ausschließlich auf Camping und Zeltplätzen übernachtet.

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon makipino » 26.04.2023, 12:09

Teil 3: Der Euro-Velo 9

In Wien verließen wir nach fast 2000km Radweg entlang von Flüssen diese Art der Landmarke und fuhren dem EV9 folgend durch die Steiermark. Die Beschilderung darf durchaus als experimentell bezeichnet werden, zusätzlich belohnt dieser Streckenabschnitt durch viele schöne Aussichtspunkte. In Markt Aspang wurde uns von einer Warmshowers-Familie dringend davon abgeraten dem EV9 weiter zu folgen, wir sollen doch unbedingt auf dem Standstreifen der Bundesstraße den Berg nach Mönichkirchen hoch fahren, der Radweg sei von irgendwelchen Irren Schreibtischpiraten geplant worden und absolut unfahrbar. Der Radweg gelte in der Region als Eldorado für Mountainbiker mit einer Vorliebe für maximale Steigung. Im Nachhinein kann ich sagen: der Standstreifen der Bundestrasse ist sehr großzügig bemessen und wenn das die bessere Option ist, dann muss der originale Radweg in der Tat furchtbar sein. Nach nur knapp 3 Stunden im ersten Gang den Berg hinauf strampeln waren wir dann schon oben, die Aussicht gut, die Brotzeit lecker. Die Abfahrt war schneller, unterbrochen von einer Eisdielenpause. Während wir uns bei deutlich sommerlichen Temperaturen mir Kaltspeise abkühlten, durften unsere Bremsscheiben auch entspannt wieder abkühlen um uns dann sicher bis zum Tagesziel Hartberg weiter zu begleiten. In Hartberg folgten ein paar Tage Pause, es war brutal heiß, das Freibad war sehr verlockend und dann auch noch direkt neben dem Campingplatz.
Weiter ging es nur noch grob am EV9 orientiert Richtung Bad Radkersburg. Wir trafen eine unglaublich nette Dame am Straßenrand, die kannte jemanden der jemanden kannte und schwuppdiwupps durften wir 2 Nächte in einem Thermenhotel verbringen. Ich glaube ich kann nicht in Worte fassen wie unglaublich gut uns das tat und wie dankbar ich den Menschen dort bis heute bin. Das Kind konnte ich dort für ein paar Stunden im Spielzimmer parken und unsere komplette Tour umplanen, denn die anhaltende Hitze hat zu umfangreichen Wald und Flurbränden an der Adriaküste und der Po-Ebene geführt. Das waren jedoch genau die Regionen, die ich eigentlich noch bereisen wollte.
Nach zwei Tagen ging es frisch erholt am Drau-Radweg weiter Richtung Maribor. Dort einigte ich mich mit dem Campingplatzbesitzer auf einen Preis von 1 Flasche Lasko (Bier) pro Nacht in der ich mein Rad in seiner Garage abstelle. Das Ziel war, uns liebe Menschen in Bosnien zu besuchen, aber mit dem Reisebus statt dem Rad. Es ist ein komisches Gefühl, das gesamte Gepäck ungesichert zurück zu lassen, aber eine knappe Woche später war alles noch da und wir verbrachten noch ein paar weitere Nächte auf dem Campingplatz und machten einfach ein bisschen Urlaub. Die Gondelbahn auf den Berg war nur wenige Fußminuten entfernt und bei der mittlerweile einsetzenden Sommerhitze war eine kleine Wanderung im Wald mehr als willkommen.
Ab Maribor existiert der EV9 ausschließlich auf dem Papier, jedoch ist die außergewöhnlich gute Radinfrastruktur dort auf dem Land zu erwähnen. Das Rad hat in der Region nie den Stellenwert als übliches Fortbewegungsmittel verloren, so hat fast jede größere Straße einen abgetrennten Radweg, die kleineren Straßen sind sowieso völlig entspannt. Bis Celje sagte das Handy „überwiegend flach“, dem würde ich so nicht ganz zustimmen, die Steigungen sind selten aber knackig (15-20%), die Autofahrer aber absolut rücksichtvoll. Dass ich rudimentär bosnisch spreche öffnete und Tür und Tor, wir durften eine Nacht neben dem Gartenhaus eines Hotelbesitzers schlafen (das Hotel war geschlossen) und sogar seinen Privatpool nutzen. Einzige Bedingung, das Zelt darf nur in der Dunkelheit stehen. (In Slowenien ist das Zelten außerhalb ausgewiesener Zeltplätze -auch auf Privatgrund- verboten und wird auch teuer geahndet.) In Celje hatten wir die 15 Tage am Stück jeden Tag mittags über 40°C geknackt und unsere Motivation jetzt einen „richtigen“ Berg (mehrere hundert hm an einem Tag) zu fahren hielt sich in Grenzen. Es sollte ja auch Urlaub sein und die Bergetappe am Vortag (1,5km mit 10%) hatte mir deutlich gezeigt, dass diese Straßen mir auf Dauer zu steil und dieses Wetter nicht für uns zum Radfahren geeignet ist. Wir waren mittlerweile bei einem Wasserverbrauch von ca 8L Wasser pro Tag nur fürs trinken. So überkam mich die Idee einen Zug von Celje nach Ljubljana zu nehmen. Fahrtzeit etwas über eine Stunde wenn wir den Schnellzug nehmen. 5 Entschuldigungen später, dass ich mit einem Tandem zwei Radtickets kaufen müsse, stand ich mit meinem Zugticket (unglaubliche 6€ für zwei Personen und das Tandem) am Gleis und der Schaffner schaute so entsetzt wie nur Menschen schauen können, wenn sie einen rosa Elefanten sehen. Der Zug war älteren Modelles, vermutlich ist mit diesem schon Jesus in den Urlaub gefahren.
Das „Radabteil“ war mit einem vereinzelten Rennrad schon hoffnungslos überfüllt, also blieb nur der Platz im Gang, quer zur Fahrtrichtung. Unser Trümmer wurde fachmännisch beäugt und es wurde entschieden, das müsste eigentlich passen, der Bereich zwischen den Treppen sei wahrscheinlich lang genug für Hinterrad und Ständer (war er, auf den Zentimeter). „Wait, I bring driver, he is strong!“ Wenig später waren wir im Zug und es ging mit nur minimaler Verspätung weiter; der Schaffner brachte ein Tuch, dass wenn die Passagiere auf dem Weg zum Klo über das Rad steigen sich die Hose nicht schmutzig machen. Mitgedacht. In Ljubljana raus und die Treppe runter war dann einfacher. Dort ein paar Tage verbracht und völlig motiviert das nächste Zugticket in die Berge Richtung Triest gekauft, diesmal mit leichterem Einstieg und zum Ausstieg noch die Erlaubnis über den Versorgungsweg die Schienen zu queren, statt die Treppe nehmen zu müssen. Ingesamt haben wir so einen Großteil der Höhenmeter zum Meer mit dem Zug überwunden, aber bei über 40°C mit einem Kleinkind wäre alles andere in meinen Augen unverantwortlich gewesen.

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon makipino » 26.04.2023, 12:16

Teil 4: Das Meer und das Ende

Ich träumte seit Tagen von diesem Moment. Wir fahren die Landstraße auf und ab, Kurve um Kurve, und da ist es dann. Das Meer! Wie es glitzert und es ist warm und wir steigen ins kühle Nass und bestimmt ist in der Nähe eine Strandbar und wir bekommen ein leckeres Eis. Immerhin ist es ja Italien, da gibt’s doch überall allerfeinstes Eis.
Fast.
Das erste Mal seit Wochen, das erste Mal seit den verheerenden Waldbränden fing es, pünktlich eine Stunde nach unserem Grenzübertritt, an zu regnen. Nicht feste, nicht genug um die völlig verdorrte Erde zu durchnässen, aber genug, dass es nervt. Dass die Straße rutschig wird vor nassem Staub und es absolut illusorisch ist, mal eben die Steilküste runter zu radeln (und vor allem auch wieder hoch) und einen großen Zeh ins Meer zu halten. Muss das halt bis morgen warten. Wir bekamen den Notplatz eines völlig überfüllten Campingplatzes und durften auf der „Wiese“ vor der Rezeption zelten. Am nächsten Tag dann endlich der erhoffte Blick aufs Meer, ein Fuß im Wasser, schwimmen wollten wir in dem Hafenbecken nicht.
Das richtige Schwimmen und im Meer plantschen holten wir eine Woche später nach, wir wurden von der Patentante meiner Tochter besucht und haben ein paar Tage Kinderurlaub gemacht. (Nicht, dass nicht auch sonst der Fokus auf meiner Tochter lag, aber die Tante ist ja dann doch noch mal was Besonderes und die hatte sogar einen Camping-Kühlschrank dabei. Was da alles an Leckereien reinpasst…)
Die nächsten zwei Wochen verbrachten wir in Gemona del Friuli, für uns die perfekte Mischung: Hohe Berge zum Gucken, eine perfekt ausgebaute ehemalige Güterzugtrasse als Radweg, leckeres Essen und ein (Gebirgs-) Fluss in dem man baden kann und im Schatten sitzend Feigen vom Baum pflücken. Ein Paradies. Noch paradisischer: Wenige Tage nachdem die Tante weg ist, tauchen meine Eltern (für meine Tochter überraschender als für mich) auf und wir verbringen eine der beiden Wochen gemeinsam.
Gemona war für uns die Endstation südlich der Alpen. Wir hatten noch etwa einen Monat Zeit, aber meine Zwergin wollte zurück in den deutschsprachigen Raum und noch ein paar Freunde besuchen. Also fuhren wir in einer Kombination aus Regionalbahnen und eigener Achse im Laufe der nächsten Tage nach Salzburg und von dort aus mit den letzten beiden Tagen 9€ Ticket nach Würzburg. "Sänk ju for träwlling wis deutsche Bahn!", wir sind aber trotzdem angekommen. Freunde besucht, ein bisschen Main entlang gefahren, Kitafreunde auf der Heimreise aus dem Urlaub in Autobahnnähe auf eine Pizza abgepasst, wieder ein bisschen Bahn und ab Koblenz ging es dann den Rhein wieder runter Richtung Heimat. Ab Bonn wurde es merklich kälter, der Herbst kam. In Köln bei Reisebekannten (kennengelernt in Maribor) abgestiegen und auf besseres Wetter gewartet, kam nicht, also weiter. Bei Neuss ging wettertechnisch gar nix mehr, 3 Tage Campingplatz. Mit der Bahn zu einer Freundin nach Duisburg, auftauen, alles trocknen und die letzten beiden Etappen mit dem Rad in die Heimat.
Hinter der Stadtgrenze gucken meine Tochter und ich uns tief in die Augen. Das wars jetzt? Komisches Gefühl. Wir gehen erst mal eine Pizza essen und gucken uns die Kreuzung an. Hier waren wir fast auf den Tag genau vor 5 Monaten schon einmal. Da waren wir aufgeregt was so alles passieren würde, wir waren gespannt wohin es gehen wird und was wir erleben werden, welche Erinnerungen wir im Gepäck haben werden wenn wir wieder hier sind. Die letzte halbe Stunde Fahrt dehnen wir auf mehrere Stunden, wir kommen an einem ihrer Lieblingsspielplätze vorbei. Die Oma kommt uns mit dem Rad entgegen und fährt mit uns die letzten Meter nach Hause.
Schön war’s!

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon Radfux » 26.04.2023, 17:46

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon ANM112 » 26.04.2023, 19:10

Sehr schön geschrieben!!!

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon Steini » 26.04.2023, 19:42

Wow!!

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon upndown » 26.04.2023, 20:52

spannend - vom ersten Satz an, bis zum Schluss! Klasse!
man kann sich auf nichts mehr verlassen, nicht mal mehr auf die Unzuverlässigkeit des Wetterberichts!
Bei "langweiligem Wetter" kann man auch getrost in die Wetterapp gucken, sonst muss man sich mehrerer Informationsquellen bedienen. :mrgreen:

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon Pino322 » 26.04.2023, 21:03

Toller Plan, großartige Umsetzung und sehr schöner Bericht.
Hut ab !!!

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon Sonnenscheinradler » 27.04.2023, 07:25

Respekt!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Das nimmt Euch keiner mehr
Gruß vom Bodensee

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon makipino » 31.03.2024, 22:30

Vielleicht kann der Thread hier zu den Reisen verschoben werden? :oops:

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Re: Reise ans Mittelmeer

Beitragvon SwissQ » 01.04.2024, 08:43

Vielen Dank für den ausführlichen Bericht. Ich bewundere Dich und Deine Tochter. Ich finde es schön von so einem entschleunigten Reisen zu lesen. Das Abenteuer liegt immer an der nächsten Ecke auch wenn die eben nicht 150km entfernt ist. Toll. Ich hoffe der Alltag lässt euch beiden immer wieder Zeit von diesen Erlebnissen zu zehren.
Herzliche Grüsse
Gero


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