Beitragvon jolly63 » 22.04.2023, 11:28
Liebe Leute,
ich verstehe das Interesse oder die Sorgen, aber es sollte bei der Rechnerei Komponenten vs. System bedacht werden:
Im Bereich von muskelkraftbetriebenen oder tretunterstützten Fahrrädern die max. 25 km/h fahren gibt es weder für die Fahrräder noch die Reifen eine Norm die einzuhalten ist, noch eine Zulassung. Sämtliche Zahlen, Labels oder sonstigen Angaben die da an den Produktbeschreibungen zu finden sind, unterliegen völlig dem Kreativitätsspielraum desjenigen der das verkauft. Anders gesagt: Wenn ein Hersteller bei einem konkreten Reifenmodell eine Tragkraft von 80kg angibt, ist das ausschließlich zum Nachteil des Kunden. Es sagt nämlich nichts anderes aus, dass der Händler Gewährleistungsansprüche abwehren wird, wenn der Reifen nachweislich mit mehr als 80 kg belastet worden ist. Das gleiche gilt für Zuladungen oder ZGG von Fahrrädern als Ganzes.
Warum sehe ich keine technische Relevanz in solchen Zahlen:
Im Rahmen meiner Tätigkeiten für Lieferanten von Komponenten und Systemen für Fahrzeuge aller Art seit den frühen 90ern ist mir noch nie ein Hersteller begegnet, der für normfreie Teile mit kurzer Lebensdauer (Verschleißteile) in normfreien Systemen irgendwelche Berechnungen angestellt hat. Im Großseriengeschäft mit hohen Gewährleistungs- oder Produkthaftungsrisiken gibt es Simulationen oder FE-Berechnungen, HALT Tests etc. sowie Produktbeobachtungen. Aber hier reden wir über norm- und zulassungsfreie Verschleißteile (Reifen) und Fahrräder im Manufakturbereich, die alle paar hundert Exemplare umdesignt werden, da wäre jegliche Berechnungen und Simulation jenseits irgendeiner Wirtschaftlichkeit. Im günstigsten Fall wird ein sehr engagierter Hersteller aus den Rückmeldungen aus dem Markt (z.B. gehäufte Reklamationen wegen auffallend kurzer Lebensdauer) seine selbst erfundenen Belastbarkeitszahlen anpassen, um sich gegen den Shitstorm der enttäuschten Verbraucher zu wehren. Bei diesen normfreien, kurzlebigen oder kleinstückzahligen Fahrzeugen/Fahrzeugteilen sind diese Zahlen überall wo ich bisher reinsehen konnte das geistige Produkt von Marketingleuten (Kaufleute, nicht Techniker...), auf Grundlage beliebiger Annahmen.
Völlig anders sieht das im Bereich E-Bikes bis 50 km/h (S-Pedelecs) aus, hier gibt es einen Normen- und Zulassungskanon anhand der Einstufung als Kleinkraftrad. Da sind dann auch die Reifen z.B. mit ECE-R75 zu labeln und zuzulassen.
Das Paradoxe dabei ist, dass man bei E-Bikes aufgrund der hohen Gewichte und vermuteten hohen Fahrleistungen besonders belastbare Komponenten (z.B. Reifen) fordert. Eine Anforderung, die Tandems seit jeher schon viel stärker stellen. Aber da werden wir Tandemisti nicht nur bei den Reifen, sondern auch bei Bremsen und im Antriebsstrang allein gelassen.
Ich war zwar nicht bei jedem einzelnen Hersteller von Fahrzeugkomponenten "inside", aber ich bin mir sicher, dass die Belastbarkeitszahlen die uns bei zulassungsfreien Fahrrädern und deren Bremsen/Reifen/sonstigen Komponenten angeboten werden grade mal für einen qualitativen Fingerzeig reichen - im quantitativen aber zu 99% aussagefrei und unvergleichbar sind (abgesehen von der o.g. Einschränkung der Gewährleistungsansprüche). Ich stelle das in eine Reihe mit den Fantasieskalen "Rollwiderstandsklasse X", "Pannensicherheitslevel Y" oder bei Fahrradschlössern "Sicherheitsstufe Z". Insofern machen mir da irgendwelche Widersprüchlichkeiten oder Inkonsistenzen in der Papierlage auch keine Kopfschmerzen. Vielleicht verzichten namhafte Reifenanbieter z.B. Continental auch nicht zuletzt aus diesem Grund darauf, bei seinen Fahrradreifen im zulassungsfreien Segment Belastbarkeiten in kg anzugeben. Und vielleicht nutzt Schwalbe dies genau umgekehrt aus, weil ihr Marketing herausgefunden hat, dass es Kunden gibt die beim Lesen von solchen Zahlen ein kaufförderndes Sicherheitsgefühl bekommen....
VG Joachim
Zuletzt geändert von
jolly63 am 25.04.2023, 08:10, insgesamt 1-mal geändert.
nichts bewegt uns wie ein Pino